15. Dezember

Mach mal Sonntag © St. Bernward

Wenn der Zeitfaden reißt

In meinem Wohnzimmer steht eine alte mechanische Standuhr. Ich liebe das Ticken, das mich durch fast die ganze Wohnung begleitet. Es hat für mich etwas Vertrautes. Auch wenn die Stundenschläge nicht atomuhrgenau sind, so sind doch auch sie eine vertraute Vergewisserung beständig laufender Zeit in meinen vier Wänden.

Doch neulich ist beim Aufziehen der Uhr ein Baumwollseil mit dem daran hängenden Gewicht gerissen und dieses krachend in den Uhrenboden gefallen. Da steht sie jetzt. Ohne Gegengewicht kein Ticken mehr. Die Zeiger waren um 19:47 stehengeblieben. Der Faden ist gerissen, die Zeit steht und in der Wohnung ist es still geworden.

Vielleicht kennen Sie auch solche Momente, in denen der Zeitfaden reißt? Die Zeit steht still? Vertraute Abläufe funktionieren nicht mehr. Eine traurige Nachricht, die Sie erreicht. Nicht zuletzt die Erfahrungen dieses Jahr mit dem Stillstand des öffentlichen Lebens im ersten Lockdown. Am Ende unseres eigenen Lebens wird die Zeit beendet sein, in der wir wirken konnten. Aber es gibt auch ein positives Innehalten. Ein Augenblick, der ewig bleiben soll. Auch wenn wir die Zeit nicht anhalten können, scheint sie manchmal stillzustehen. Und manchmal müssen wir aktiv die Reißleine unserer Zeit ziehen und das Gewicht fallen lassen.

Der Advent lädt zu so einer „Entschleunigung“ ein. Sich allein oder mit der Familie einen Abend Zeit zu nehmen und sich zu fragen, wer eigentlich mein oder unser wirklicher Taktgeber ist. Wer bestimmt mein Leben? Den Arbeitsrhythmus? Den Familienrhythmus? Sind es meine Launen? Prinzipien? Meine Arbeit? Andere Menschen? Mein Glaube?

Christus ist in die Zeit gekommen, um ihr ihren einmaligen Wert zu geben und sie für die Ewigkeit zu öffnen. In Bethlehem vor mehr als 2000 Jahren ist der gekommen, der auch meine Zeit in den Händen hält und sie bemessen hat, jeden einzelnen Herzschlag. Und wenn die Zeit einen Moment stillsteht, kann ich das Ticken der Ewigkeit hören.

Sie hat ein Gesicht, ein Kindergesicht.

                                                                                                                                                             (Kaplan Bleckmann)